Die Billstraße in Rothenburgsort steckt voller Geheimnisse – hier der Tempel von Hamburgs ältester Hindu-Gemeinde (Foto: Miguel Ferraz)

Am Neuen Huckepackbahnhof verläuft – parallel zum Flußlauf der Bille und später zum Billekanal – eine der geheimnisvollsten Straßen Hamburgs. Die Billstraße bietet auf weiten Strecken das Bild einer informellen Stadt. Ihre bunte Mischung aus Import-Export-Läden, Schrotthändlern, Straßenimbissen und kulturellen wie religiösen Institutionen für die verschiedensten Gruppen bringt Fans wie Gegner:innen gleichermaßen hervor. Seit dem 01. Juni 2022 gibt ein neuen Fan-Punkt: Auf einem Parkdeck in der Billstraße 180 eröffnete das Projekt „Essbar – Stadtgarten Rothenburgsort“ einen neuen Treffpunkt, der urbane Lebensmittelproduktion, berufliche Weiterqualifizierung und Nachbarschaftsimpulse zusammenbringt.

Kai Hoppe lässt sich in der Essbar zur Fachkraft im Stadgartenbau weiterbilden. Er hat dabei auch neue Service- und Produktkonzepte im Blick. (Foto: Miguel Ferraz)

„Das haben wir auf die Beine gestellt“

Kai Hoppe steht inmitten der Hochbeete, aus denen Salat, Kräuter, Gemüse und Obstpflanzen sprossen. Auf 20 angemieteten Stellplätzen wachsen hunderte Jungpflanzen von der Bonsai-Tomate bis zur Wassermelone. „Alles, was Sie hier sehen, haben wir seit Februar auf die Beine“, sagt er stolz. Zusammen mit sechs Kollegen hat er die Holzboxen gezimmert und mit Erde befüllt. Das zusammen mit dem Parkdeck angemietete Büro im Gewerbegebäude gegenüber diente als Anzuchtstation. „Wir verkaufen alles von den Jungpflanzen bis zu kompletten Hochbeeten. Je nach Wunsch beraten und pflegen wir die Pflanzen auch bei den Kunden vor Ort, zum Beispiel in Schulen“, erzählt er. Dass der gelernte Maschinenschlosser heute die grüne Gärtnerkluft trägt, stellt für ihn eine neue Chance auf dem Arbeitsmarkt dar. Nach einer Phase ohne Job lässt er sich zum „Helfer im Stadtgartenbau“ ausbilden. „Da geht es auch darum, neue Servicekonzepte und Marktideen zu entwickeln“, sagt er. Sein Kollege André Stöhr zeigt sich ebenso zufrieden. „Das Team funktioniert sehr gut und es ist toll, dass man die Erfolge sieht“, sagt er.

Thomas Sampl betreibt die “Hobenköök” in der HafenCity. Er legt großen Wert auf regionale Produkte. Die “Essbar” lernte er durch das Schwesterprojekt “Grau trifft Grün” im Oberhafenquartier kennen. (Foto: Miguel Ferraz)

Schwesterprojekt in der HafenCity

Hoppe, Stöhr und die weiteren Kollegen sind Angestellte der ARINET GmbH, die die „Essbar“ verantwortet und mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und der Freien und Hansestadt Hamburg finanziert. Von der gärtnerischen Fachanleitung bis zu Handwerk, Teambuilding und den kaufmännischen Themen ist das Projekt zentral auf berufliche Teilhabe ausgerichtet. „Wir können hier insgesamt 12 Langzeitarbeitslose beschäftigen und weiterqualifizieren“, sagt ARINET-Geschäftsführer Michael Schweiger. Das Projekt ist auf mindestens drei Jahre angelegt, auch für eine Verlängerung darüber hinaus stehen die Chancen gut. ARINET hat sich unter anderem mit dem Schwesterprojekt „Grün trifft Grau“ in der HafenCity bereits bewiesen. Dort wurde auch der für seine nachhaltige regionale Küche bekannte Koch Thomas Sampl auf das Konzept und die Produkte aufmerksam. Sampl betreibt die „Hobenköök“ als Restaurant und Markthalle im Oberhafenquartier, direkt gegenüber von „Grün trifft Grau“. Bei der Eröffnung der „Essbar“ lobt er die Auswahl der Pflanzen und bietet eine kleine kulinarische Führung: „Senfsalat ist eine tolle würzige Beimischung zum Kopfsalat. Denken Sie bei Kohlrabi daran, dass man auch die Blätter anschmoren kann, die schmecken sehr lecker“, erklärt er mit den jeweiligen Beispielen zur Hand. Nur von Zucchini-Blättern rät Sampl dringend ab. „Einmal dachte ich, dass ich damit eine neue Entdeckung gemacht hätte, aber am Ende bekamen wir Probe-Esser im Team der Hobenköök Bauchschmerzen“, erzählt er lachend.

Michael Schweiger (ganz rechts) hat als Geschäftsführer von ARINET das den Statdgarten Rothenburgsort auf den Weg gebracht. Zu den Unterstützer:innen zählen Prof. Antje Stokmann von der HafenCity Universität, Hanne Stiefvater von der Hamburger Sozialbehörde und Ursula Groß vom Bezirksamt Hamburg-Miute (v.l.n.r.). (Foto: Miguel Ferraz)

Zukunftsort der Stadtentwicklung

Die ersten Bewohner:innen von Rothenburgsort haben sich in der „Essbar“ bereits mit Radieschen und Erdbeeren eingedeckt. Michael Schweiger hofft, dass viele andere den Weg finden, damit sich die Idee des „Stadtgartens Rothenburgsort“ tatsächlich mit Leben füllt. Die Billstraße 180 liegt deutlich abseits vom Ortskern. Sollte sich ein zentralerer Standort finden, könnte das Projekt problemlos umziehen. Vorerst ist man aber zufrieden, dass es so gut angelaufen ist. Aus Sicht von Antje Stokmann, Professorin für Architektur und Landschaft an der HafenCity Universität, wird es ohnehin gerade in dieser Lage mitten in einem Gewerbegebiet zu einem „Zukunftsort der Stadtentwicklung“. Hier zeige sich, wie Grün in der Stadt und urbane Lebensmittelproduktion zusammenkommen könnten, sagt sie, und rechnet vor: „Alle Dächer in Hamburg ergeben zusammengerechnet ein Zehntel der Stadtfläche – soviel wie alle Grünflächen und Parks zusammen. Die Hälfte der Dächer sind Flachdächer. Und die obersten Parkdecks werden regelmäßig viel weniger genutzt als die tieferen. Denken Sie nur, wie viele Potenziale wir da haben !“

Parkdeck mit Potenzial: Der neue “Stadtgarten Rothenburgsort” in der Billstr. 180. Das Büro im dahinterliegeden Gewerbegebäude dient auch als Anzuchtstation. (Foto: Miguel Ferraz)

Für ein gesundes, inklusives und gemeinschaftlich orientiertes Leben in der Stadt, das zudem neue Geschäftsideen ausprobiert, ist die „Essbar – Stadtgarten Rothenburgsort“ fraglos ein Pionierprojekt.

Ort: Billstraße 180 (auf dem Parkdeck), 20539 Hamburg-Rothenburgsort

www.stadtgartenessbar.de